von Karsten Welte

In Brasilien und in Brüssel, in berühmten Sammlungen und Museen, auf den öffentlichen Plätzen der großen Städte stehen die Skulpturen des Bildhauers Georg Brenninger. Die meisten und wohl auch eindrucksvollsten seiner Werke sind in Velden an der Vils, insgesamt 25 Stück. Man kann fast schon von einem Brenninger-Freilicht-Museum sprechen.

In Velden ist Georg Brenninger 1909 geboren und aufgewachsen, dort liegen seine Wurzeln, aus denen er zeitlebens Kraft und Energie schöpfte. Er war eng verwachsen mit der Landschaft seiner Heimat, den fruchtbaren Äckern und Wiesen, den Wegen und Straßen mit alten Bäumen, den Wäldern, Tälern und sanften Hügeln. Das Sinnliche und Anmutige dieser Landschaftsformen waren für ihn gleichnishaft ein Bild der Frau, von den busigen Hügeln schwärmte er immer wieder.

Von busigen Hügeln und Engeln:

Er verehrte die Natur und setzte seine Beobachtungen um in seinem künstlerischen Schaffen. Die Natur war der Atem, das A und O für sein Gefühl. Fliegende Möwen wurden bei ihm zu einer Vision von Engeln, wieder Fliegende, und die Vision manifestierte sich dann in der plastischen Darstellung einer Engelsskulptur.

Die menschliche Figur war für ihn der Kosmos, der Mittelpunkt. Er beobachtete einen Bach, der sich seinen Weg durch eine Wiese sucht, oder er empfand die Großartigkeit der Schneeschmelze in den Alpen. Der Schnee schmilzt und das Wasser begibt sich leise, fast stäubend, irgendwie nach unten. Daraus ist seine Brunnenidee entstanden: „Selbst die größte Abstraktion hat kein Leben, wenn nicht die Natur spürbar ist.“

Zwei Brunnen stehen im Zentrum von Velden. Am Marktplatz der Petersbrunnen: Aus einer Felsformation sprudelt lebendiges Wasser in Kaskaden. Ein Symbol für Petrus den Felsen, den Kirchenpatron Veldens. Der andere, der träumerische Sängerbrunnen, ist den Sängern des Vilstales gewidmet. Alle Städte des Vilstales, die den Gesang pflegen, sind in die hohe Säule mit den neun Musen eingraviert, dazu der Spruch: „Die Heimat lässt ihr Lied nicht verklingen.“ Georg Brenninger wollte den Chören dieser Gegend ein Denkmal setzen. Ebenfalls symbolhaft für die Musik und für alle Künste thront am Marktplatz, in sich ruhend, die riesige Gestalt des Apollo, in Bronze gegossen. Das aus Stein gehauene Original dieses sieghaften Apolls schuf Brenninger für das Giebelfeld des Münchner Nationaltheaters, wo der Apoll gemeinsam mit den neun Musen das traditionsreiche Gebäude schmückt. Den Bronzeguss des Apollo wollte das Olympische Komitee für das Olympiagelände in München, um die Sieger darin einzugravieren. Der Künstler verfügte, dass diese Figur in seiner Heimat Velden aufgestellt wird.

Der berühmt gewordene Professor Brenninger hat Velden immer wieder an seinem Erfolg teilhaben lassen. Sämtliche Modelle seiner Werke hat er der Heimat vermacht. Wenn er zurückkam und alte Freunde traf, gingen die Gedanken oft zurück in die Zeit, als er noch der junge Brenninger Schorschi, nämlich ein armer Hund, gewesen ist. Es war keine Schande für ihn, im Gegenteil, er war stolz, dass er alles aus dem Nichts geschaffen hat. Einmal hat ihn ein Fotograf aufgenommen, wie er als kleiner Bub allein nachsitzen musste, ein stimmungsvolles, trauriges Foto. „Aber nicht weil ich nichts lernen wollte, sondern weil ich rauflustig war, ein Raufer!“, erzählte er später, und dass zu jenen Zeiten oft noch das Faustrecht die offizielle Gerichtsbarkeit ersetzte.

Sein Vater war Maurermeister, und weil er ständig krank war, lebte die Familie in großer Armut. Gerade die Armut, in der er aufwuchs, war der Antrieb für Georg Brenninger. Um durchzukommen, hat er mit seinen Freunden alles mögliche gemacht, auch über die Grenzen der Legalität hinaus, sei es „Eier abtragen“ oder verbotenes Kirschenpflücken. Als Musiker verdienten sie ein wenig Geld auf Hochzeiten, und sie würzten sich das karge Leben mit deftigen Streichen und Scherzen. Auf einer Hochzeit stank es fürchterlich, die Musiker spielten immer, weiter, jeder schaute vorwurfsvoll, bis der Schorsch merkte, dass seine Kameraden ihm ein altes Stück Backsteinkäse unter den Kinnhalter seiner Geige getan hatten.

Georg Brenninger wurde wie sein Vater Maurer. Irgendwann begann er, Grabsteine für den Friedhof in Velden anzufertigen, allerdings ohne Erfolg. „Des Glump verschandelt unsern Friedhof!“, bekam er zu hören. Aber bei dieser kreativen Arbeit an den Grabsteinen spürte er, dass das sein Metier war, das figürliche Gestalten, der Umgang mit der plastischen Form. Er wollte in München studieren, um Architekt und Bildhauer zu werden. Eine Bilderbuchkarriere hatte ihren Anfang genommen.

Einer seiner Lehrer an der Münchner Akademie, Hermann Hahn, sagte ihm, dass die Plastik versteinerte Ruhe sei. Und eine elementare, vielleicht sogar sakrale Ruhe zeichnet fast alle Werke Brenningers aus, eine Ruhe, aus der die stille Bewegung her auswächst, als Form und Gestalt, vor allem auch bei seinen späteren abstrakten Arbeiten, wie der Bergpredigt auf dem Kirchplatz in Velden.

In Velden galt er zunächst als „Prophet im eigenen Lande“ überhaupt nichts, und draußen in München, in der Welt kamen die Ehrungen: Professor an der Münchner Akademie der Bildenden Künste, Träger des Maximilianordens, Gewinner vieler Wettbewerbe. Wo immer er auch war, er blieb der Niederbayer aus Velden, seine Liebe galt der Heimat an dem kleinen Fluss Vils, und auch sein Frauenbild, das in seinem Leben eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat, ist stark von der Heimat geprägt.

Die „niederbayerischen Luader“:

Nicht die Damen vom Laufsteg, von der Mode, hatten es ihm angetan, sondern die Frau aus der Heimat, die unverwechselbare bäuerliche Anmut. Die Begegnung mit dem anderen Geschlecht ging sehr tief bei ihm. Wenn er dann so eine Frauengestalt erarbeitete, konnte sie für ihn schelmisch auch zum „niederbayrischen Luader“ werden.

Die Armut seiner Jugendzeit hat er nie vergessen. Als wohlhabender Mann schenkte er jährlich den armen Veldenern eine bestimmte Summe und stiftete dem Markt fünfzigtausend DM. Mit den Zinserträgen soll den Armen geholfen werden.

An seinem 75. Geburtstag sprach Georg Brenninger vom Sensenmann, er spürte, wie er im Gebüsch bereits lauert. Trotzdem wollte er mit seiner urigen Kraft weiterarbeiten, „bis man ihm die Schaufel ’naufschlägt“: Im November 1988 holte ihn der Sensenmann. Als er an einem regnerischen Tag beerdigt wurde, nahmen unzählige Freunde aus dem In- und Ausland Abschied von einem, den die Gegend hier geprägt hat und der seinerseits die Gegend prägte.

Brenninger war ein ganzer Mensch, alles war immer präsent, seine Phantasie, sein handwerkliches Geschick, seine Schwächen und Leidenschaften – beim Wetten auf der Rennbahn genauso wie auf der Jagd, beim Reiten und bei seiner unstillbaren Sehnsucht nach Frauen.

Auf seinem Grab steht seine Skulptur „Der Betende“. Der Blick des betenden Mannes ist nach innen gerichtet. Er ruht in seinem inneren Zentrum und bekommt seine Kraft aus einer anderen Dimension. Diese Skulptur verkörpert vielleicht am reinsten das bildnerische Ideal Brenningers: „Das Ganze soll einheitlich sein und eine Sprache bekommen, die ein einziger Klang ist.“

Autor: Karsten Welte, Eberspoint